Kritik - Wie aus dem vermeintlichen Gift ein Geschenk wird

Deine Chefin kommt in dein Büro. Als du ihren Gesichtsausdruck siehst, fällt dir der Begriff »Gewitterziege« ein. Was sie wohl diesmal von dir will?

 

Du bist dir ziemlich sicher, dass sie unfreundlich und ungerecht sein wird. Dir fällt ein, was sie das letzte Mal von dir wollte. Dass sie dich kritisiert hat.

 

Der Ärger darüber kommt wieder hoch. Dein Herz klopft, dir sinkt der Magen in die Knie und du bist in Alarmbereitschaft. Meinst du, du kannst wirklich hören, was sie sagen wird?

 

Wenn andere uns kritisieren, passiert es schnell, dass wir »zurückschlagen«. Vielleicht denken wir: Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Das stimmt gar nicht! Wie kann er nur so etwas sagen! Er macht das doch selber! Oft entgegnen wir dann auch eine erwachsen-artikulierte Version von »Selber!« Im Prinzip führen wir den gleichen Blödmann-Selber-Dialog, den wir als Kinder auf dem Schulhof geführt haben. Er klingt nur komplizierter.

 

Eine andere Sache, die oft passiert, wenn andere uns kritisieren, sind Selbstvorwürfe. Manchmal schießen sie uns so schnell durch den Kopf, dass wir sie gar nicht bewusst hören. Am leichtesten merkst du die Selbstvorwürfe daran, dass du dich klein, schlecht und unfähig fühlst wegen der Kritik des Anderen. Manchmal kommen dann noch Selbstvorwürfe wegen deiner Reaktion dazu. Hast du »zurückgeschlagen«? Wahrscheinlich wirfst du dir auch das vor und schämst dich sogar dafür.

 

Nach solch einem Gespräch bist du vermutlich ärgerlich und fühlst dich von deinem Gegenüber distanziert. Wahrscheinlich ist dein Gesprächspartner weniger bereit dir zuzuhören. Die Fronten haben sich verhärtet.

 

Wäre es nicht schön, mit Kritik ganz anders umzugehen? Wie wäre es, sie erstmal ganz genau anzuhören und wirklich verstehen zu wollen, was der oder die Andere meint? Wie wäre es, dabei interessiert und offen zu sein? Offen dafür zu sein, an welchen Stellen die andere Person recht hat? Bemerke, ob dir das gefährlich vorkommt.

 

Meine Erfahrung ist, dass mich nur Kritik aufregt, an der etwas Wahres ist (und zwar nach meiner eigenen, inneren Wahrheit). Wenn mir jemand sagen würde: »Daria, du bist knallgrün im Gesicht. Du siehst aus wie ein Frosch. Das ist ja peinlich«, dann wäre ich wahrscheinlich verwundert und ein bisschen amüsiert, aber ich wäre nicht verletzt, gekränkt, getroffen, beleidigt, aufgeregt. Ich bin mir sicher, dass das nicht stimmt. Es trifft mich nicht.

 

Jede Kritik, die mich aufregt, ist ein wertvoller Hinweis für mich, dort genauer hinzuschauen. Wenn jemand zu mir sagt: »Daria, manchmal bist du ganz schön unfreundlich« und mir tut das weh, dann ist das ein Hinweis, dass ich das auch glaube und es nicht wahrhaben will. Mit dieser Erkenntnis ist es ziemlich unsinnig »zurückzuschlagen«, wenn ich Kritik höre. Wenn mir meine Frisur nicht gefällt, dann mache ich nicht den Spiegel kaputt, sondern gehe zum Friseur.

 

Eine kraftvolle Frage, wenn du Kritik hörst, ist »Habe ich das selber auch schon einmal gedacht?« Wenn du die Kritik selbst schon einmal gedacht hast, dann ist sie nicht völlig aus der Luft gegriffen. Ich habe zum Beispiel noch nie gedacht, dass ich knallgrün wie ein Laubfrosch bin. Ich habe aber schon oft gedacht: Uuups, das war unfreundlich, wie ich das gesagt habe. Wenn ich das selber schon einmal gedacht habe, dann spricht die andere Person lediglich aus, was ich sowieso schon gedacht habe. 

 

Wenn du keine Angst vor Kritik hast, kann sie ein wunderbares Geschenk sein. Sie hilft dir, dich selbst klarer zu sehen und anzunehmen, wie du bist. Ich lade dich zu folgendem Experiment ein: Frage drei deiner Freunde oder Familienmitglieder: Was nervt dich an mir am meisten? Was hältst du für meine schlechteste Eigenschaft? Bitte sie darum, sich einen Punkt auszusuchen. Und dann höre ihnen gut zu. Wenn du etwas dazu sagst, dann nur, um zu verstehen, was sie meinen. Nicht um richtigzustellen, dich zu rechtfertigen, zu erklären oder zu verteidigen. Bedanke dich für die Kritik.

 

Und dann zieh dich zurück, um dein Geschenk auszupacken. Trifft dich die Kritik? Hast du das auch schon mal über dich gedacht? Finde drei konkrete Beispiele, die zeigen, dass sie recht haben mit ihrer Kritik. Wenn sie beispielsweise gesagt haben, dass du unfreundlich bist, dann finde drei konkrete Momente, in denen du unfreundlich warst. Und dann finde drei konkrete Beispiele für das Gegenteil. Finde zum Beispiel drei konkrete Situationen, in denen du wirklich freundlich warst. Sei neugierig darauf, was du mit diesem Experiment erlebst.

 

Hast du Lust auf das Experiment? Falls du keine Lust darauf hast: was hält dich ab? Erzähl mir in den Kommentaren, wie es dir damit gegangen ist.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Ute Schymura (Samstag, 23 Dezember 2017 09:07)

    Beim Lesen Deines Blogs über das Geschenk der Kririk habe ich sofort gedacht: Sie hat Recht, das ist wahr. Ich müßte mich mit der Kritik auseinandersetzen anstatt sie abzulehnen. Aber das ist anstrengender und schmerzhafter. Das führt zur Vermeidung und ist nicht nett zu mir. Ich hoffe noch darauf, dass der Schmerz so stark wird, dass ich den gezeigten Weg gehen kann. Danke.

  • #2

    Daria Schymura (Sonntag, 24 Dezember 2017 13:32)

    Liebe Ute,
    danke für deine Offenheit. Ist es wirklich schmerzhafter Kritik anzuschauen als sie abzulehnen? Schmerz kann ein guter Wegweiser sein, was sich anzuschauen lohnt. Wer weiß, was sich für Geschenke dahinter verbergen. Ich wünsche dir friedliche Feiertage!